Erfüllung der GoBD-Bedingungen gegeben?

Liebe Entwickler und Nutzer,

ich möchte Dolibarr in einem kleinen Fertigungsunternehmen mit Umsätzen über 500k€ einsetzen.

Ich habe V. 14.0.2 über bitnami in einer VM installiert, das ging prima.

Das Programm gefällt mir nach 1 Woche testen sehr gut, es funktioniert (fast) alles, was ich möchte.

Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Dolibarr den GoBD-Grundsätzen genügt und somit überhaupt im Produktivbetrieb eingesetzt werden darf.
Die wenigen Forenbeiträge dazu waren da sehr unscharf, ich konnte daraus kein abschliessendes Ergebnis erkennen.

Hat jemand zur GoBD-Konformität von Dolibarr eine verlässliche Antwort?
Falls Dolibarr nicht GoBD-konform arbeitet, gibt es so etwas wie eine Entwicklungs-Roadmap oder ein Entwicklungsziel, dass die GoBD-Konformität anstrebt?

Ich freue mich auf Eure Antworten, viele Grüße

Jochen

Hallo Jochen,

die Antwort ist vermutlich, wie in so vielen Rechtsfragen, ein eindeutiges „es kommt darauf an“.

Die GoBD decken ja ein weites Feld ab, und vieles, was einen ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb angeht, kann mit Dolibarr sehr gut realisiert werden.

Ich sehe aber momentan u.A. folgende Punke:

Kein nachträgliches Ändern von Rechnungen:

Mit Aktivierung des entsprechenden Loggings („Unveränderliche Archive“) werden die wesentlichen Inhalte einer Rechnung unveränderlich festgeschrieben. Das ganze ist wohl mit der französischen Finanzverwaltung abgeklärt. Man muss an dieser Stelle aber klar sagen: Das eigentliche Rechnungsdokument (pdf) wird auf diese Weise nicht revisionssicher archiviert. Wie kritisch dass im Rahmen einer deutschen Steuerprüfung ist, hängt wohl von den Gesamtumständen ab.

Einschub: Eine revisionssichere (und DSGVO-konforme, das ist auch noch so ein Punkt…) Archivierung geschäftlicher E-Mails ist ja ohnehin erforderlich. Dort sollten sich dann die Original-PDFs auf jeden Fall wiederfinden, sofern per E-Mail versandt.

Ansonsten kann man noch ein paar Einstellungen vornehmen (Parameter unter Erweiterte Einstellungen):

  • INVOICE_CAN_NEVER_BE_REMOVED auf 1
  • PDF_USE_1A auf 1 (PDFs im Archivierungsstandard PDF/A generieren)
  • INVOICE_DISALLOW_REOPEN auf 1 (Rechnung kann nicht wieder in Zustand DRAFT gesetzt werden)

Eine mögliche Herausforderung ist die fehlende Historisierung der Adressdaten von Geschäftspartnern: Ändert man später die Adresse, könnte man aus den alten Rechnungsdaten eine neue PDF-Rechnung mit der geänderten Adresse generieren. Wenn aber das unveränderliche Logging und eine Archivierung der ausgehenden E-Mails erfolgt, sollte das m.E. unproblematisch sein, da ja die Veränderungen nachvollziehbar wären

Buchaltung

Die Buchhaltung von Dolibarr würde ich zur Zeit noch nicht als führendes System einsetzen, sondern die Transaktionsdaten aus Dolibarr in ein anderes Buchhaltungsprogramm exportieren. Gerade für Deutschland fehlt da noch zu viel:

  • Schnittstellen zu Banken und Zahlungsdienstleistern für den Abruf von Kontodaten
  • Umsatzsteuervoranmeldung incl. der geforderten elektronischen Datenübermittlung
  • kein Jahresabschluss
  • keine Anlagenbuchhaltung mit Abschreibungen
  • kein DATEV-Export für den Steuerberater
  • kein GoBD-Export für die Steuerprüfung

In Frankreich läuft derzeit eine Crowdfunding-Kampagne, um das Buchhaltungsmodul deutlich aufzuwerten, das betrifft aber natürlich nicht spezifisch deutsche Anforderungen.

Fazit

Ich habe mir kürzlich nahezu alle relevanten Open Source ERP-Systeme angesehen und ich halte in Punkto Bedienbarkeit und Funktionsumfang Dolibarr für das derzeit beste System. Was die GoBD-Aspekte angeht scheint mir Dolibarr grundsätzlich einsatzfähig, wenn man sich bezüglich der Prozesse die entsprechenden Gedanken macht.

Disclaimer: Dies ist meine unverbindliche Privatmeinung - ich bin weder Steuerberater noch Rechtsanwalt, würde aber ggf. empfehlen, mit selbigen Kontakt aufzunehmen und die eigene Situation zu besprechen.

Im deutschen Forum geht es ja eher etwas ruhiger zu. Ich fände es aber klasse, wenn zu diesen Fragen ein intensiverer Austausch angestoßen werden könnte.

Beste Grüße

Joachim

Hallo Joachim
Das mit der Buchhaltung ist der Punkt, der mich auch am meisten stört.
Kannst du mir/uns bitte mitteilen, wo diese Crowdfunding-Kampagne in Frankreich läuft?
Ich denke, auch wenn es nicht für die deutschen Anforderungen genügt, so könnte man
doch durch den Support einer solchen Kampagne einige Entwicklung beschleunigen
und später auf andere Länder anpassen.
Danke und Gruß aus der Schweiz
Percy

Hallo Joachim, hallo Percy,

herzlichen Dank für Eure Beiträge!
Die „Erweiterte Einstellungen“-Einstellungen hatte ich schon gesehen und gemacht und das funktioniert auch so wie beschrieben, trotzdem vielen Dank für die Auflistung, die bestimmt auch für andere nützlich sein kann.
Wenn man die E-Mail-Archivierung mal ausklammert (das könnte auch z.B. schon über den Provider erfolgen), dann scheint der Weg zur GoBD-Konformität ja nicht mehr so weit zu sein. Wenn man einen Rechnungsdatensatz mit einer (vielleicht sogar auch nur virtuellen) Zahlung verknüpfen könnte, wäre das schon ein Merkmal, um den PDF-Datensatz als unveränderlich markieren zu können und zu archivieren. Vorher wären Änderungen dagegen per Storno-Funktion voll änderbar. So etwas ist auch keine rein deutsche Anforderung, mindestens in GB gibt es das auch, in FR kenne ich mich leider nicht so aus.

Die fehlende Anlagenbuchung ist etwas, was sicher einen Aufwand bedeutet, aber auch eine großen Nutzen hätte. Firmen mit einigermassen vielen Anlagegütern werden ohne diese Möglichkeit Dolibarr kaum in Betracht ziehen, was ich für sehr schade halten würde.

Jocachim, die anderen „rein“ deutschen Punkte in Deiner Auflistung sind dagegen doch eher eine Fleissarbeit bezogen auf die schon vorhandenen Programmieraufwände für Dolibarr.
Wenn Diese Punkte impementiert wären, könnte Dolibarr mindestens für kleinere Firmen eine hervorragende und super gut nutzbare ERP-Alternative werden.
Ich habe mir ebenfalls viele (OS und proprietär) ERP-Systeme angeschaut und teile Deine positive Einschätzung zu Bedienbarkeit und Funktionsumfang sehr.
Daher wäre es doch besonders schade, wenn ein produktiver Einsatz durch „Kleinigkeiten“ gehemmt werden würde, wobei ich „Kleingkeiten“ auf den schon bestehenden Funktionsumfang beziehen möchte und nicht auf die noch zu erbringende Programmierarbeit!.

Gibt es denn nicht so etwas wie eine Entwicklungs-Roadmap oder eine Liste terminierter Entwicklungsteilprojekte für Dolibarr?
Wie können sich Nutzer/Interessierte über vielleicht kommende Entwicklungen/Verbesserungen informieren, gibt es da im Forum eine Stelle, di ich noch nicht gesehen habe?
Muss dazu vielleicht auch ein anderssprachiges Forum befragt werden (englisch/französich)?
Der Beitrag von Percy beschreibt da ja auch einen Hebel, mit dem Entwicklung sicher voran gebracht werden könnte (aber wer organisiert so etwas?), danke für diese Idee!

Einige der obigen Punkte könnten auch als eigene (externe) Module entstehen, obwohl ich das wegen der objektiv aufwändigen Anpassungen an neue Dolibarr-Versionen nicht für die 1. Wahl halte.

Noch einmal Danke für Eure Beiträge, ich freue mich auf jeden Kommentar zur Sache.
Viele Grüße,

Jochen

Die Crowdfunding-Kampagne ist hier abrufbar:

Sie wurde hier im französischen Forum angekündigt:

Grundsätzlich ist das französische Forum wesentlich aktiver als das englische oder deutschsprachige.

Falls jemand (so wie ich bis vor kurzem) diesen Trick noch nicht kennt und nicht fließend Französisch spricht:

Beim Chrome-Browser auf einer französischen Seite Mit der Maus rechts klicken und dann „Auf Deutsch übersetzen“ wählen liefert eine meist sehr brauchbare Übersetzung.

@JoDei

Eine Verknüpfung der Rechnung mit einer Zahlung erfolgt ja grundsätzlich in Dolibarr. Und auch die Storno-Funktion arbeitet soweit ich gesehen habe korrekt: Es wird eine Gegenbuchung über eine Storno-Rechnung durchgeführt (in Dolibarr als Gutschrift bezeichnet). Ich habe zumindest nicht gesehen, dass ich eine bestehende Rechnung einfach spurlos löschen könnte - oder ich habe Deine Beschreibung falsch verstanden?

Noch kurz zur Archivierung ohne zu sehr abzuschweifen: Die Speicherung von Kopien sämtlicher E-Mails beim Provider löst zwar das GoBD-Problem teilweise (es soll ja zusätzlich strukturiert und leicht auffindbar archiviert werden). Es schafft aber sehr leicht einen Verstoß gegen die DSGVO, weil es eben auch viele E-Mails gibt, die keine Geschäftsbriefe sind und auf gar keinen Fall langfristig archiviert werden dürfen (Krankmeldungen von Mitarbeitern, Bewerbungen, die abgelehnt werden, private E-Mails an Mitarbeiter…).

Eine fixe Roadmap gibt es nicht. Ich war selber auf der Suche und habe einige vergangene Diskussionen dazu gelesen. Sinngemäß ist es so, dass Dolibarr ein Community-Projekt von allen Beteiligten ist, und es wird veröffentlicht, was fertig ist. Grundsätzlich kann jeder die Entwicklung vorantreiben (über eigene Programmierarbeit oder Beauftragung eines Dienstleisters).

Ein Tool hierzu sind die Issues auf GitHub:

Dort können neben Fehlermeldungen auch Feature-Requests vorgetragen werden, oder Lösungen über Pull-Requests bereitgestellt werden. Es gibt auch einige Issues, die per Label als strategisch gekennzeichnet sind (und trotzdem etliche Jahre als sind…). Auf der einen Seite ist das Vorgehen etwas gewöhnungsbedürftig, auf der anderen Seite kann man bei gegebener Dringlichkeit und entsprechenden Ressourcen aber auch mehr bewegen, als bei kommerziellen Anbietern. Und letztlich arbeiten ja alle Beteiligten freiwillig am Projekt, so dass man von niemandem die Realisierung einer geplanten Roadmap einfordern könnte…